Vorgetäuschte Demokratie

15. September 2013: Fünf Volksentscheide - und keiner weiß davonAm 15. September werden in Bayern der Landtag und die Bezirksräte gewählt. Das dürfte bekannt sein. Die DKP ruft dazu auf, mit der Zweitstimme Die Linke zu wählen. Wer aber in diesen Tagen die Wahlunterlagen ins Haus bekommt, erlebt möglicherweise eine Überraschung. Er soll sich auch noch für oder gegen fünf Verfassungsänderungen entscheiden. Fünf Volksentscheide, die in den Medien Bayerns bislang kaum eine Rolle gespielt haben. Und auch die Parteien geben sich wenig Mühe, auf die Referenden aufmerksam zu machen. Plakate, die für ein „Ja“ oder „Nein“ werben? Fehlanzeige!

Die CSU informiert auf ihrer Homepage darüber, dass Horst Seehofer „unser Ministerpräsident“ ist. Irgendein Hinweis auf die von diesem selbst per Rede in einem Bierzelt initiierten Verfassungsänderungen? Fehlanzeige!

 

Auch bei der bieder gestalteten Internetseite der SPD, die den Änderungen allesamt zugestimmt hat, kein Wort darüber, um was es geht. Die FDP, die ebenfalls zu den Jasagern gehört, hüllt sich auch in Schweigen. Das selbe gilt für die Freien Wähler. Die Grünen, die im Landtag gegen die Verfassungsänderungen gestimmt haben, weil sie folgenlose Phrasen eines Herrn Seehofer nicht unterstützen wollten, haben zumindest auf einer Unterseite Positionen dazu formuliert. Lediglich die Linkspartei, die nicht im Landtag vertreten ist, macht mit den Volksentscheiden auf: „Keine „Schuldenbremse“ in die bayerische Verfassung!“

So wird direkte Demokratie ad absurdum geführt: Über etwas entscheiden zu sollen, über das nicht öffentlich diskutiert wurde. Ohne Informationen darüber, was die Hintergründe der einzelnen Verfassungsänderungen sind, was mit diesen bezweckt wird und was sich gegenüber dem jetzigen Zustand ändert.

Aber um was geht es eigentlich?

Zur Abstimmung stehen fünf Gesetze zur Änderung der Verfassung des Freistaates Bayern: zur „Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen“, zur „Förderung des ehrenamtlichen Einsatzes für das Gemeinwohl“, zu „Angelegenheiten der Europäischen Union“, zur „Schuldenbremse“ und zu einer „Angemessenen Finanzausstattung der Gemeinden“.

Im „Volksentscheid 1“ soll der Staat verpflichtet werden, gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern, in Stadt und Land, „zu fördern“. Was das bedeutet? Kein Wort dazu… Gilt das auch für alle in Bayern lebenden Menschen? Also auch für hier lebende Menschen, deren Wurzeln in anderen Teilen dieses Erdballs liegen? Für die Flüchtlinge, die unter oft menschenunwürdigen Bedingungen und angefeindet in Sammelunterkünften ausharren müssen?

„Volksentscheid 2“ beinhaltet die „Förderung des ehrenamtlichen Einsatzes für das Gemeinwohl“. Klingt gut. Doch was heißt das? Auf wessen Kosten soll die Förderung geschehen? Bereits heute ist es in vielen sozialen Bereichen so, dass feste Stellen abgebaut werden, um Kosten einzusparen – und die entstehenden Lücken durch Freiwillige gefüllt werden, die die Tätigkeiten ohne Bezahlung übernehmen. Entsprechend ausgebildet sind diese Menschen oft nicht. Und diese Zustände sollen gefördert werden? Zumindest lässt sich die Verfassungsänderung auch so interpretieren – und wer Seehofers CSU und die FDP kennt, weiß, dass man realistischerweise immer mit dem Bösesten rechnen sollte.

Durch den dritten Volksentscheid soll in der Verfassung festgeschrieben werden, dass die Staatsregierung den Landtag über Angelegenheiten der EU informieren und dessen Meinung „maßgeblich berücksichtigen“ muss. Konkreter werden die juristische Floskeln nicht. Es kommt viel „kann“ und „soll“ vor, kein „muss“ – überflüssiges Gelaber.

Der eigentliche Knackpunkt, als vierter Volksentscheid geschickt zwischen den anderen versteckt, ist die Abstimmung über die „Schuldenbremse“. Demnach soll Bayern ab 2020 keine neuen Schulden machen dürfen. Ausnahmen sind nur eine „von der Normallage abweichende konjunkturelle Entwicklung“ – was auch immer das konkret heißen soll – sowie Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen. Konkret bedeutet dies, dass die Neueinstellung von Lehrern bei steigenden Schülerzahlen, die Aufnahme von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten, Umweltschutzmaßnahmen, der Betrieb von Jugendzentren, Senioren-, sowie Sport- und Kultureinrichtungen oder ähnliches nur noch nach Kassenlage möglich ist. Wer also Ja sagt zur „Schuldenbremse“ sagt zugleich Ja zu Sozialabbau, zur Schließung von Schulen, Kindergärten, Jugendzentren und Seniorentreffs, zu Freibädern und bislang unterstützen Kleinkunstbühnen . Da wird klar, warum es keine Informationen gibt.

Im „Volksentscheid 5“ schließlich wird die Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs umgesetzt, dass die Gemeinden Anspruch auf eine „angemessene Finanzausstattung“ im Rahmen von dessen „finanzieller Leistungsfähigkeit“ haben. Was ist angemessen? Kein Wort… Was ist die finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates, zum Beispiel bei gleichzeitig geltender „Schuldenbremse“? Ebenfalls kein Wort.

Die Volksentscheide sind nichts anderes als vorgetäuschte Demokratie: Den Menschen in Bayern wird eine Beteiligung vorgegaukelt, die sie real nicht haben.